Arzneimittel-Resistenzen ist  wenn Medikamente ihre Wirkung verlieren. Ein ganzes Jahrhundert des medizinischen Fortschritts ist in Gefahr  sagt die IACG. Foto: © iStock.com/Halfpoint
Arzneimittel-Resistenzen ist wenn Medikamente ihre Wirkung verlieren. Ein ganzes Jahrhundert des medizinischen Fortschritts ist in Gefahr sagt die IACG. Foto: © iStock.com/Halfpoint

„Ausufernde Sparpolitik“: Risiko für Arzneimittelversorgung

Die Arzneimittel-Rabattverträge müssen dringend neu gestaltet werden. Das forderte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) bei der Präsentation des Gutachtens „Zehn Jahre Arzneimittel-Rabattverträge“. Demnach führt die „ausufernde Sparpolitik“ der Krankenkassen immer öfter zu Liefer- und Versorgungsengpässen. Ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot, so der BPI.
Am 20.3. wurde das Gutachten „Zehn Jahre Arzneimittel-Rabattverträge“ präsentiert. Foto: © BPI
Am 20.3. wurde das Gutachten „Zehn Jahre Arzneimittel-Rabattverträge“ präsentiert. Foto: © BPI

Im Jahr 2007 wurden sie „scharf gestellt“: Bei einem Rabattvertrag sagt ein pharmazeutisches Unternehmen einer Krankenkasse zu, dass es für ein Medikament (oder ein ganzes Sortiment) einen Rabatt auf den bundesweit einheitlichen Apothekenverkaufspreis gewährt. Im Gegenzug sagt die Kasse dem Hersteller zu, dass alle ihre Versicherten im Normalfall künftig nur dessen Präparate erhalten. Patienten merken das, wenn ihr gewohntes Arzneimittel plötzlich in anderer Verpackung oder Farbe daherkommt – dann hat ihre Kasse gerade den Rabattpartner gewechselt. Rabattarzneimittel haben Vorrang vor anderen wirkungsgleichen Präparaten. Verschreibt ein Arzt einen Wirkstoff oder erlaubt den Austausch eines verordneten Medikamentes, ist der Apotheker verpflichtet, das von der jeweiligen Kasse vorgesehene Rabattarzneimittel abzugeben.

Rabattverträge sind in vielen Bereichen der Arzneimittelversorgung der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) die Regel: Im Juni 2018 hatten 111 Krankenkassen mit 209 pharmazeutischen Unternehmen 16.182 Verträge über 17.547 Handelsformen abgeschlossen. Über die Hälfte (59,5 %) aller im GKV-Markt abgegebenen Arzneimittelpackungen sind rabattgeregelt. Die aus den Verträgen erzielten Erlöse haben sich in acht Jahren zwischen 2008 und 2016 mehr als verzwölffacht, so der BPI. Sie liegen inzwischen bei über 4 Milliarden Euro. Die Krankenkassen feiern das Vertragssystem deshalb gerne als Erfolgsmodell.

BPI: „Ausufernde Sparpolitik“ bringt die Versorgung in Gefahr

Dr. Martin Zentgraf, BPI-Vorstandsvorsitzender / Foto: © BPI
Dr. Martin Zentgraf, BPI-Vorstandsvorsitzender / Foto: © BPI

Dieser Ansicht tritt der BPI mit seinem Gutachten „Zehn Jahre Arzneimittel-Rabattverträge“ entgegen. Das Ausschreibeverfahren hat in den vergangenen Jahren zu einer massiven Marktkonzentration geführt: „Mit dem Gutachten liegen die Fakten auf dem Tisch“, so der BPI-Vorstandsvorsitzende Dr. Martin Zentgraf. „Die ausufernde Sparpolitik der Krankenkassen im Arzneimittelbereich hat die Versorgungssituation insbesondere bei versorgungsrelevanten Wirkstoffen derart verschärft, dass oftmals nur wenige, manchmal bis nur noch zwei aktive Anbieter im Markt sind. Durch diese Oligopolisierung drohen akut Lieferengpässe und schlimmstenfalls lebensbedrohliche Versorgungsengpässe für die Patienten.“

Sein Fazit aus zehn Jahren Rabattverträgen: Die Anbietervielfalt am Arzneimittelmarkt schwindet dramatisch. Und er prognostiziert: „Wenn die Krankenkassen ihre Sparpolitik im Arzneimittelbereich unkontrolliert weiterbetreiben, dann ist unsere Versorgung in Gefahr.“

Im rabattgeregelten Markt haben die Top-10-Unternehmen mittlerweile einen Anteil von 71 Prozent; alle anderen Unternehmen teilen sich die verbleibenden 29 Prozent. Diese Marktkonzentration bleibe für Patienten nicht mehr ohne Folgen, erklärt Nils Hußmann, Mitautor des von der Kanzlei Kozianka & Weidner erstellten Gutachtens. „Für viele kleine und mittelständische Unternehmen gehen die hohen Rabattforderungen der Krankenkassen schon heute über die Schmerzgrenze hinaus. Sie erfordern vielfach Angebote unter vollständiger Ausschöpfung der eigenen Gewinnmarge. Auf Dauer ist das kaum wirtschaftlich darstellbar und führt dazu, dass kleine und mittelständische Unternehmen im Rabattvertragsmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig sind.“ Mittlerweile werde für bestimmte Wirkstoffe der gesamte Markt nur noch von wenigen bis zu einem einzigen Unternehmen beherrscht. „Lieferengpässe können dann nicht mehr wie bisher durch eine Vielfalt von Anbietern aufgefangen werden, ohne dass es zu einer Beeinträchtigung der Arzneimittelversorgung des Patienten käme.“

Gutachter: Politik muss regelnd eingreifen

Jeder GKV-Versicherte hat Anspruch auf eine adäquate & zeitgerechte Arzneimittelversorgung. Foto: CC0 (Stencil)
Jeder GKV-Versicherte hat Anspruch auf eine adäquate & zeitgerechte Arzneimittelversorgung. Foto: CC0 (Stencil)

Die Patienten müssten die Situation nicht hinnehmen, führen die Anwälte in ihrer Untersuchung weiter aus. Denn jeder GKV-Versicherte habe Anspruch auf eine adäquate und zeitgerechte Arzneimittelversorgung. „Durch eine verzögerte Arzneimittelversorgung werden die Heilungs- und Behandlungschancen des Patienten verschlechtert, so dass keine ausreichende Arzneimittelversorgung mehr vorliegt“, so Hußmann. „Eine Arzneimittelversorgung, bei der Liefer- und Versorgungsengpässe eher die Regel als die Ausnahme sind, entspricht nicht (mehr) dem Wirtschaftlichkeitsgebot des Paragraph 12 Absatz 1 SGB  V und wäre auch nicht bedarfsgerecht im Sinne des Paragraphen 70 Absatz 1 SGB V.“ In dem Gutachten heißt es: „Da die Kassen offensichtlich die Ansprüche des Patienten aus dem SGB V nicht hinreichend berücksichtigen, liegt es an der Politik hier regelnd einzugreifen.“

Dazu haben die Gutachter drei Vorschläge entwickelt:

  • Zur Stärkung der Versorgungsunabhängigkeit vom außereuropäischen Ausland sollte mindestes ein Anbieter mit europäischer Produktionsstätte Berücksichtigung finden.
  • Für versorgungsrelevante Wirkstoffe, wie sie vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet sind, muss zumindest dann ein grundsätzliches Verbot für Arzneimittel-Rabattverträge gefordert werden, wenn diese bereits heute nur noch von drei oder weniger Unternehmen angeboten werden.
  • Krankenkassen sollen Rabattvertragszuschläge stets an mindestens drei pharmazeutische Unternehmer erteilen. Das könnte die Anbietervielfalt zumindest in ihrem Status quo absichern. Zudem werde eine deutlich größere Versorgungssicherheit erreicht, da selbst beim Ausfall eines Rabattvertragspartners dessen Lieferverpflichtungen von den anderen beiden Vertragspartnern aufgefangen würden.

Risiken im Bereich von versorgungsrelevanten Wirkstoffen müssten die Krankenkassen gar nicht eingehen, bilanziert BPI-Chef Zentgraf. „Bei einem erneuten Überschuss [der] Krankenkassen von zwei Milliarden Euro haben die Krankenkassen genug Luft.“ Schließlich – und da zitiert Zentgraf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn – seien Beitragsgelder dazu da, „die Versorgung besser zu machen.“

Link zur Pressemitteilung des BPI zum Gutachten „Zehn Jahre Arzneimittel-Rabattverträge“ (samt digitaler Pressemappe): 

https://www.bpi.de/de/nachrichten/detail/gutachten-gkv-verstoesst-gegen-wirtschaftlichkeitsgebot

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