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Langzeitstudie 80 Prozent der Kinder bewegen sich zu wenig

Immer mehr Kinder sind in Sportvereinen aktiv und trotzdem bewegen sich die meisten von ihnen viel zu wenig. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie - und stellt auch einen deutlichen Geschlechterunterschied fest.

Bewegungsmangel ist laut der Weltgesundheitsorganisation die Epidemie des 21. Jahrhunderts, zumindest in entwickelten Ländern. In Deutschland bewegen sich 80 Prozent der Kinder zu wenig, zeigt eine aktuelle Langzeitanalyse. Demnach verbringen die 6- bis 17-Jährigen pro Tag im Schnitt nur knapp 50 Minuten mit moderater bis anstrengender Bewegung. Gesund wären laut WHO mindestens 60 Minuten.

Das sogenannte "Motorik-Modul"  (MoMo) analysiert seit zwölf Jahren die Bewegungsgewohnheiten von Kindern in Deutschland. Die repräsentative Studie wertet alle drei Jahre Motorikdaten von 4500 bis 6200 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus. Dabei werden sowohl die Daten derselben Personen über einen langen Zeitraum hinweg beobachtet als auch Altersgruppen untereinander verglichen. An dem Projekt haben Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie, der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und des Robert Koch-Instituts zusammengearbeitet.

Sportvereine und Schulen können Mangel nicht ausgleichen

Die Analyse zeigt: Im Alltag bewegen sich Kinder und Jugendliche immer weniger. Demnach sank die körperliche Aktivität bei den 4- bis 17-Jährigen in den vergangenen zwölf Jahren um 37 Prozent - und damit um gut 31 Minuten pro Woche.

Und das, obwohl derzeit so viele Kinder wie nie in Sportvereinen aktiv sind. Etwa 80 Prozent der untersuchten Kinder waren schon einmal Mitglied in einem Sportverein. Zudem organisieren auch Schulen mehr sportliche Aktivitäten. In den vergangenen zwölf Jahren haben sportliche Angebote an Schulen und Vereinen im Schnitt um 16 Prozent zugenommen, was 25 Minuten mehr Bewegung pro Woche entspricht.

Doch der organisierte Sport könne den Bewegungsmangel im Alltag nicht ausgleichen, sagt Sportwissenschaftler Alexander Woll, der die Studie betreut.

Das sei aber nicht unbedingt dem drastisch steigenden Medienkonsum geschuldet: Erstaunlicherweise habe sich gezeigt, dass körperliche Aktivität und Mediennutzung nicht direkt miteinander zusammenhängen. Sprich: Kinder, die weniger daddeln, surfen oder auf sozialen Medien unterwegs sind, bewegten sich nicht zwangsläufig mehr, so Woll.

Medienkonsum sei deswegen noch lange nicht harmlos. Laut der Studie verbringen mehr als 70 Prozent der Sechs- bis Zehnjährigen mehr als eine Stunde pro Tag vor dem Bildschirm. "Spannend wäre zum Beispiel zu sehen, wie hoch die Sitzzeit ist bei den Kindern mit hohen Bildschirmzeiten", sagt Woll. "Da könnte ich mir dann sehr wohl vorstellen, dass Medienkonsum ein unabhängiger Risikofaktor ist für viele Zivilisationskrankheiten."

Mädchen inaktiver als Jungen

Kinder spielten heute sehr viel weniger im Freien als früher, nennt Woll einen Grund für die mangelnde Bewegung im Alltag. Sie träfen sich kaum noch auf dem Sportplatz zum Raufen, Toben oder Ballspielen. Je älter sie werden, umso weniger bewegten sich Jugendliche. Zudem würden Kinder und Jugendliche häufig mit dem Auto zur Schule oder zu Freizeitaktivitäten gefahren.

Auffällig sei, dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern in den letzten sechs Jahren größer geworden sei. Mädchen, und insbesondere Mädchen aus Familien mit einem niedrigen sozialen Status, schnitten in Sachen Bewegung deutlich schlechter ab als Jungen.

Weitere Studienergebnisse im Überblick:

  • Die motorischen Fähigkeiten heutiger Kindern sind um etwa zehn Prozent schlechter im Vergleich zu Gleichaltrigen vor 40 Jahren.
  • Übergewichtige Kinder bewegen sich weniger als Normal- oder Untergewichtige.
  • Erste Langzeitanalysen zeigen, dass aus übergewichtigen Kindern in 70 Prozent übergewichtige Erwachsene werden.
  • In den vergangenen Jahren hatte sich eine Verbesserung der Motorik angedeutet, diese hat sich im aktuellen Untersuchungszeitraum zwischen 2014 und 2018 jedoch nicht fortgesetzt. Insgesamt hat sich die motorische Leistung jedoch auch nicht deutlich verschlechtert. Sie stagniere stattdessen auf einem niedrigen Niveau, so die Forscher.

Ab Donnerstag wollen Experten während des Kongresses "Kinder bewegen" diskutieren, welche Maßnahmen dem zunehmenden Bewegungsmangel entgegenwirken könnten. Denn die Inaktivität kann auch gesundheitliche Folgen haben. Schon vorherige Studien hatten gezeigt, dass zu wenig Bewegung und ungesunde Ernährung schon bei Kindern zu erheblicher Fettleibigkeit führen. Derzeit gelten weltweit etwa 124 Millionen Kinder als extrem dick.

koe/dpa