Neue Sitze freigegeben

Boomtown Berlin sucht nach Ärzten

Berlin hat immer mehr Einwohner, doch die Arztzahlen wachsen nicht mit. Deshalb werden erneut neue Hausarztsitze ausgeschrieben. Gefühlt fehlen auch Kinderärzte und viele Fachärzte.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Berlin ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Im Schnitt kamen pro Jahr etwa 30.000 Einwohner hinzu.

Berlin ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Im Schnitt kamen pro Jahr etwa 30.000 Einwohner hinzu.

© Ralf Lehmann / stock.adobe.com

BERLIN. Berlin bekommt mehr Hausärzte. Das ist aber auch dringend nötig. Denn in der Hauptstadt sind immer mehr Einwohner zu versorgen. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin kündigt daher direkt nach der Vergabe der ersten neuen Sitze weitere Ausschreibungen an.

Um durchschnittlich zehn Prozent ist die Einwohnerzahl in Berlin in den vergangenen Jahren gestiegen. Das hat dazu geführt, dass Ende 2018 erstmals seit der Zusammenlegung der Bedarfsplanungsbezirke in der Hauptstadt die Zulassungssperre für Hausärzte aufgehoben wurde.

Insgesamt 42,5 Sitze für Hausärzte gab der Landesausschuss von KV und Krankenkassen in Berlin zur Besetzung frei. Die Sitze wurden am Jahresanfang ausgeschrieben. 143 Bewerbungen gingen ein. Ende Mai entschied nun der Zulassungsausschuss.

Vorrang je nach Versorgungsgrad

Die Vereinbarung („Letter of Intent“) zwischen Gesundheitssenatsverwaltung, Krankenkassen und KV in Berlin sieht vor, dass bei Sitzbesetzungen die Bezirke bevorzugt behandelt werden, die geringere Versorgungsgrade aufweisen. Dementsprechend gingen von den neuen Hausarztsitzen zehn nach Lichtenberg, 11,5 nach Treptow-Köpenick und 13,75 nach Neukölln. Marzahn-Hellersdorf erhält 1,5 neue Hausarztsitze, Spandau einen und Reinickendorf einen halben Sitz.

Auf den 38,25 neu vergebenen Sitzen arbeiten insgesamt 49 neue Ärzte und Ärztinnen. Die übrigen 4,25 Sitze sind laut KV durch Umwandlung von Jobsharing-Verhältnissen in Zulassungen oder Anstellungsgenehmigungen vergeben worden.

Einzelne Sitze gehen, vor allem in Lichtenberg, in Medizinische Versorgungszentren (MVZ) ein. „Allerdings handelt es sich in keinem Fall um MVZ, die unmittelbar durch eine Kommune bzw. einen Bezirk betrieben werden“, sagte die Sprecherin der KV Berlin, Dörte Arnold, auf Nachfrage der „Ärzte Zeitung“.

Die Bezirke Lichtenberg und Neukölln hatten in der Vergangenheit angekündigt, selbst MVZ zu gründen, um die lokale Versorgungssituation zu verbessern. Das Gründungsprozedere wäre in Berlin ziemlich komplex. Das hat mit den rechtlichen und finanziellen Regelungen zwischen dem Land Berlin und den Bezirken als Kommunen zu tun.

Dennoch sind laut KV-Sprecherin „beide Bezirke daran interessiert, die aktuelle Versorgungssituation zu verbessern“. Es gebe einen regelmäßigen Austausch.

Wie sieht der aktuelle Versorgungsgrad aus?

Aktuell liegt der Versorgungsgrad in Berlin bei den Hausärzten laut KV bei 106 Prozent. Die KV geht davon aus, dass allein aufgrund des Bevölkerungswachstums kurzfristig 21 weitere Hausarztsitze ausgeschrieben werden. Die Umsetzung der novellierten Bedarfsplanungsrichtlinie wird in der zweiten Jahreshälfte nach KV-Einschätzung weitere neue Niederlassungsmöglichkeiten für Hausärzte im mittleren zweistelligen Bereich nach sich ziehen.

Bedarf an noch mehr Hausärzten entsteht auch durch die demografische Entwicklung der Berliner Ärzteschaft. Derzeit sind laut KV insgesamt 2336 Hausärzte in der Hauptstadt tätig. Doch ein Drittel von ihnen ist mindestens 60 Jahre alt. „Etwas mehr als 800 Hausärzte werden in den nächsten fünf Jahren das Rentenalter erreichen“, sagt die KV-Sprecherin.

Schon jetzt arbeiten nach ihren Angaben viele über 65-jährige Hausärzte weiter, weil sie keinen Nachfolger finden. Die Gründe: „Der Nachwuchs rückt nicht schnell genug nach, bisherige ‚Nachrücker‘, wie etwa Jobsharer und angestellte Ärzte, sind nicht mehr in ausreichender Zahl vorhanden, bestehende stützende Maßnahmen, wie die Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin, erzielen aktuell noch nicht die gewünschte Wirkung, und der ärztliche Nachwuchs favorisiert ein Angestelltenverhältnis mehr als die Niederlassung“, erläutert Arnold.

Senat: Lage bei Pädiatrie ist kritisch

Auch bei anderen Fachgruppen in Berlin könnte es bald zur Aufhebung von Zulassungssperren kommen, vor allem bei Gynäkologen und Augenärzten. Die Sitze können jedoch den KV-Angaben zufolge voraussichtlich noch ohne Ausschreibungen mit Jobsharern besetzt werden. Rückläufig ist der Versorgungsgrad laut KV auch bei Hautärzten.

Die Gesundheitssenatsverwaltung sieht darüber hinaus auch die kinderärztliche Versorgung als kritisch. Der Versorgungsgrad lag zum 1. Juli 2018 zwar in allen Bezirken außer in Neukölln über 100 Prozent und in ganz Berlin bei über 125 Prozent.

Aber: „Der Senat teilt die Zweifel vieler Berlinerinnen und Berliner, ob eine angemessene pädiatrische Versorgung in Berlin derzeit flächendeckend vorhanden ist“, schreibt Gesundheitsstaatssekretär Martin Matz in der Antwort auf eine Anfrage der CDU-Abgeordneten Hildegard Bentele.

Es gebe wiederholt Fälle, in denen Familien Schwierigkeiten haben, innerhalb eines vertretbaren Zeitraums einen Termin bei einem Kinderarzt in ihrem Wohnbezirk zu bekommen. „Offenbar bedarf die in der Bedarfsplanungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses festgelegte Einwohner-Arzt-Verhältniszahl einer Überprüfung und Anpassung“, meint Matz. Ob mit der bevorstehenden Anpassung der Verhältniszahlen durch den GBA für die Kinderärzte eine mengenmäßig ausreichende Veränderung erfolge, sei noch offen.

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