Page 13 - pharmind Ausgabe 5/2021
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wenn auch langsamen Schritten hung neuer Arten dar. Daher formu- nem Ansturm von Goldgräbern, von
vorwärts“ [1]. lierte Mayr das Dogma der allopatri- denen nur die wenigsten wirklich
schen Artbildung, wonach nur eine reich werden, die anderen gehen in
ausreichende räumliche Trennung der wachsenden Rivalität unter.
von Populationen einen wirksamen Dann konnte es sinnvoll sein, sich
Mechanismus für die Entstehung nach neuen Geschäftsmodellen um-
Arten, Artenschwärme und
neuer Spezies darstellt. Eine Artbil- zusehen und einen Saloon, ein
Artbildung
dung ohne eine solche räumliche Bordell oder einen General Store zu
Was aber ist eigentlich eine Art? Der Trennung, eine sympatrische Spe- eröffnen. Ähnliche Mechanismen
biologische Artbegriff besagt, dass ziation, galt bestenfalls als eine sel- existieren in biologischen Populatio-
eine Biospezies alle Populationen tene Kuriosität. nen: Individuen mit genetischen Ab-
umfasst, deren Angehörige unterei- Ein sehr schönes Beispiel für eine weichungen, die neue Ressourcen
nander faktisch oder potenziell klassische allopatrische Artbildung nutzen können, haben einen Vorteil
kreuzbar sind und unter natürlichen liefern asiatische Vögel: Der Grüne gegenüber anderen Individuen. Da-
Bedingungen von den Angehörigen Laubsänger (Phylloscopus trochiloi- mit aber der stetige ausgleichende
anderer Populationen reproduktiv des), dessen Areal sich in Form eines Genfluss diese Anfänge einer Artbil-
abgegrenzt sind. Eine Art ist also als Ringes von Unterarten um das dung nicht sofort wieder zunichte-
eine potenzielle Fortpflanzungsge- Hochland von Tibet zieht. Am Ende macht, muss ein weiterer Faktor
meinschaft definiert. In der Praxis der Eiszeit haben sich Populationen hinzukommen, z. B. die bevorzugte
sind Taxonomen allerdings meist dieser Art vom Himalaya aus in ei- Paarung zwischen gleich angepass-
darauf angewiesen, die Gesamtheit ner östlichen und einer westlichen ten Individuen (die assortative Paa-
aller Individuen als eine Art zu be- Route um das baumlose tibetani- rung). Artbildung ist damit nicht
trachten. In allen wesentlichen mor- sche Hochplateau nach Norden aus- nur ein rein passiv räumliches Phä-
phologischen Merkmalen stimmen gebreitet. Inzwischen existieren nomen, sondern auch ein aktiv öko-
diese überein und unterscheiden 5 Unterarten, die sich wie ein Ring logisches, so wie es sich die Begrün-
sich mit diesem Merkmalskomplex um Tibet gelegt haben und im Nor- der der Evolutionstheorie, Darwin Nur für den privaten oder firmeninternen Gebrauch / For private or internal cooperate use only
von anderen Gesamtheiten (Mor- den wieder aufeinandergetroffen und Alfred Russell Wallace, ur-
phospezies-Definition). So gibt es Ar- sind. Bei den meisten dieser Unter- sprünglich vorgestellt haben. Wie
ten, die zwar nachweislich repro- arten sind die Reproduktionshürden das in der freien Natur geschieht,
duktiv isoliert sind, ohne sich aber noch schwach, die beiden Arten, die kann man an den sog. Artenschwär-
morphologisch zu unterscheiden sich aber im Norden wieder begeg- men bei Buntbarschen studieren.
(sog. Zwillingsarten; Sibling Spe- net sind und nun ein überlappendes
cies). Gerade bei Arten, die aus vie- Areal besetzen, können sich nicht
len Unterarten bestehen, fällt es oft mehr untereinander paaren und
schwer, den biologischen Artbegriff fortpflanzen. Das entscheidende Iso-
Das Cichliden-Problem
konsequent anzuwenden und die lationsmerkmal ist der Gesang der
Grenze zwischen Populationen, Un- Männchen, der auf dem Weg nach Buntbarsche oder Cichliden sind ei-
terarten und Arten begrifflich scharf Norden immer komplexer wurde, ne Familie der Knochenfische, mit
zu fassen. sodass sich heute Angehörige der etwa 1 700 beschriebenen Arten die
Der deutsch-amerikanische Bio- beiden nördlichen Populationen ge- drittgrößte nach den Karpfenartigen
loge Ernst Mayr (1904–2005) [2] hat sanglich nicht mehr erkennen: eine und den Grundeln. Viele Arten sind
das Prinzip der allopatrischen Art- reproduktive Isolation aufgrund von wegen ihres farbenprächtigen Habi-
bildung formuliert. Diese erste echte Erkennungsmechanismen. tus, des komplexen Verhaltensspek-
Theorie der Artbildung [3] besagt, Wie aber könnte eine sympatri- trums und der recht problemlosen
dass zwischen geografisch getrenn- sche Artbildung vor sich gehen? Das Pflege beliebte Aquarienfische; die
ten Populationen der Genfluss, also Schlüsselwort heißt Konkurrenz. größeren Arten stellen z. T. wichtige
der Austausch genetischen Mate- Hat sich eine Population gut an eine Speisefische. In den großen afrikani-
rials, zwangsläufig immer stärker bestimmte Umwelt angepasst, dann schen Seen (Tanganyika-, Malawi-
eingeschränkt wird. Theoretische weisen alle Individuen die gleiche oder Viktoria-See), aber auch eini-
Berechnungen haben gezeigt, dass Adaptation auf und konkurrieren gen lateinamerikanischen Gewäs-
bereits sehr geringe Raten an geneti- unweigerlich um dieselben Ressour- sern besetzen sie z. T. alle ökologi-
schem Austausch, mithin wenige cen. Die eigentlich vorteilhafte gute schen Nischen, die sonst auf mehre-
Prozent, genügen, um einen einheit- Anpassung entwickelt sich zum re Fischfamilien verteilt sind. Jeder
lichen Genpool und damit die Stabi- Nachteil. Ein historisches Beispiel See zeigt dabei ein ganz ähnliches
lität einer Art zu erhalten. Das stellt liefert der Goldrausch: Die Entde- Spektrum hochspezialisierter ende-
eine sehr hohe Hürde für die Entste- ckung einer neuen Ader führt zu ei- mischer Buntbarsch-Formen auf:
Pharm. Ind. 83, Nr. 5, 588–591 (2021)
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